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Rezensionen Tiefenpsychologie
und Kulturanalyse

Tiefenpsychologie

Phänomen Arbeitsstörungen – Den individuellen Arbeitsstil optimieren

Autor*in:Günther Köhnlein
Verlag:Verlag für Tiefenpsychologie und Anthropologie (VTA), Berlin 2017, 228 Seiten
Rezensent*in:Ulrich Kümmel
Datum:01.03.2017

Seit der Erstveröffentlichung seines inzwischen vergriffenen Buches Phänomen Arbeitsstörungen im Jahr 2010 haben sich in der Folge der Bankenkrise und der zunehmenden Globalisieung mit neo-liberalen Tendenzen weitere dramatische Umwälzungen für das Arbeitsleben ergeben. Der Autor hat nun mit einer an die neuen Herausforderungen angepassten Neuauflage seines Kompendiums zum Problem Arbeitsstörungen reagiert.

Im ersten Teil seines Buches gibt Köhnlein einen umfassenden Überblick über die Veränderungen der Arbeitswelt in den letzten Jahrzehnten und den damit verbundenen, sich dem Zeitgeschehen anpassenden Anforderungen an die Arbeitenden. Viele Arbeitnehmer können die geforderten Anpassungsleistungen nicht mehr erbringen und reagieren mit Arbeitsstörungen, die sich in Prüfungs- und Versagensängsten, Burnout, depressiven Verstimmungen und Sinnlosigkeitsgefühlen manifestieren. Im Kapitel Arbeit und Selbstverwirklichung weist er auf die Bedeutung der Teilhabe an Arbeitsprozessen und auf die vielfältigen psychischen und sozialen Folgen für längerfristige Arbeitslose hin.

Ausführlich und durch Fallbeispiele veranschaulicht, wird der Begriff „Arbeitsfähigkeit“ diskutiert, wobei die unterschiedlichen Merkmale von Arbeitsfähigkeit wie soziale Gesichtspunkte, psychisch-emotionale, intellektuell-kognitv-geistige und handlungsbezogene Merkmale detailliert und sehr anschaulich dargestellt werden. Arbeitsfähigkeit setzt Beziehungsfähigkeit voraus. Arbeitsstörungen können auch auf gestörte zwischenmenschliche Beziehungen hinweisen.

Bevor Köhnlein sein eigentliches Anliegen Arbeitsstörungen und Persönlichkeit vorstellt, erörtert er die unterschiedlichen Erscheinungsformen und Faktoren von Arbeitsstörungen. Einen großen Raum nehmen dabei die Störungen im Bereich der sozialen Beziehungen wie auch die psychisch emotionalen Beeinträchtigungen ein. Psychosoziale Belastungsfaktoren wie Stress, Überforderung und Fehlbelastungen können zu psychosomatischen Störungen bis hin zu chronischen Erkrankungen führen.

In den zentralen Ausführungen zum Thema Arbeitsstörungen und Persönlichkeit interessiert sich der Autor für die inneren Konflikte, die einer Arbeitsstörung zugrundeliegen. Er erläutert die Zusammenhänge von Charakter, Lebensstil und Arbeitsstörungen und stellt sehr anschaulich und durch viele Beispiele aus der eigenen Praxis belegt die schizoide Persönlichkeit, den depressiven, den narzisstischen, ängstlichen, histrionischen und den zwanghaften Charakter vor. Diese unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen werden in Bezug auf ihre spezifischen Arbeitshaltungen und Arbeitsstörungen untersucht und ihre Stärken und Schwächen erläutert.

In den ausführlichen Fallbeschreibungen wird deutlich, dass es im therapeutischen Handeln nicht nur auf die richtige Theorie über Arbeitsstörungen ankommt, sondern auch auf die Fähigkeit des Therapeuten, sich in die Situation seines Patienten einzufühlen. Innere Reife, Lebenserfahrung und Offenheit ermöglichen es, gemeinsam an den Problemen zu arbeiten, mögliche Ressourcen aufzudecken und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die bewegenden, klar strukturierten Darstellungen von Therapieverläufen aus der psychotherapeutischen Praxis des Autors machen deutlich, dass er über langjährige psychotherapeutische Erfahrungen verfügt. Sie geben dem Text eine lebendige Note.

Wie es im Geleitwort heißt, ist das Buch zwar theoriegestützt, aber für die Praxis konzipiert und geschrieben. Dies wird in den abschließenden Kapiteln Bewältigung von Arbeitsstörungen sowie Thesen zur Überwindung von Arbeitstörungen deutlich. Kommt es durch Arbeitsstörungen zu einer persönlichen Krise, hängt dies oftmals mit fehlenden Lebenszielen zusammen, und Antworten auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens werden dabei nicht selten verfehlt. Im therapeutischen Sinne ist es in solchen Fällen die Aufgabe des Psychologen; das Gefühl der Verzweiflung in ein Gefühl von Hoffnung zu verwandeln. Hoffnung setzt Energien für die erfolgreiche Durchführung nützlicher Arbeit frei.

Aufgabe einer Therapie ist es darüber hinaus, die positiven Anteile der die Arbeit begünstigenden spezifischen Persönlichkeitsstruktur als Ressource zu verstehen und neu zu entdecken. Der Arbeitsgestörte darf lernen, Herausforderungen anzunehmen und zu versuchen, diese trotz seiner Angst und Vorbehalte anzupacken, so dass sich das Selbstwertgefühl stabilisieren kann. Dabei gilt es, den Teufelskreis von Allmachtsillusionen, Inaktivität und Protesthaltung zu durchbrechen, um die Hürde von Hinausschieben, Verzögern und Ausweichen (Prokrastination) zu überspringen und handeln zu lernen – weg von einem „Ich muss“, hin zu einem „ich will“.