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Philosophie

Eudämonie - Vom guten, besseren, gelingenden Leben

Autor*in:Gerhard Danzer
Verlag:Springer, Heidelberg - Berlin 2023, 309 Seiten
Rezensent*in:Matthias Voigt
Datum:25.12.2023

Anders als viele heute gängigen Werke in Sachen achtsamer Existenz schrieb man in früheren Zeiten ein Buch über das Problem gelingenden Lebens erst im vorgerückten Lebensalter. Gerhard Danzer zählt mit seinem Geburtsdatum langsam zur Gruppe dieser Autoren, wobei sein neuestes Buch kein Ratgeber zum Glücklichsein ist, sondern eine gut lesbare Enzyklopädie über das Leben und Denken derjenigen Menschen, denen sich der Autor auf seinem bisherigen Lebensweg verbunden fühlen konnte. Diese geistigen Weggenossen werden von ihm daraufhin befragt, wie sie sich durch die Irrungen und Wirrungen ihrer Existenz auf etwas hinbewegt haben, das als selbstverantwortetes und selbstgestaltetes Mensch-Sein bezeichnet werden kann – eine Seins-Weise, so der Autor, die zur Eudämonie, zum glückenden Leben beiträgt. 

Im vorliegenden Buch werden neben Heraklit, Epikur, Wittgenstein und Zola auch viele heutige Denker mit ihren Vorstellungen für ein gelingendes Dasein vorgestellt. Gerhard Danzer ist dabei erfreulich bemüht, uns Lesern die Lektüre nicht schwerer zu machen, als sie von der Sache her schon ist. Er verlockt uns, das Spektrum der gängigen Konzepte einer Work-Life-Balance hinter uns zu lassen und uns der Ars bene vivendi zuzuwenden, der Kunst der guten Lebensführung. Damit geht es ihm um eine Revitalisierung von Lebenskunst, wie sie umfänglich in der hellenistischen Spätantike bedacht wurde. 

Die 300 Seiten von Danzers Eudämonie-Buch gliedern sich in sieben Themenkomplexe. Mit Leben zwischen Kunst und Spiel ist der erste Abschnitt des Gesamttextes überschrieben. Unter diesen Aspekten präsentiert Danzer in drei Unterkapiteln den Auftakt und das Hauptmotiv eines gelingenden Lebens. Hierin schließt sich der Autor einem bedeutenden Romancier an: Thomas Mann, bekennender Perfektionist in diesem Handwerk, sprach hinsichtlich dessen, was ihn als Schriftsteller vorangetrieben hat, von seinem Drang nach Gutmachung. Er wollte das, was als bereits Gemachtes nicht mehr zu ändern war, im nächsten Werk noch besser machen. Seine Kunst stellte dem Leben etwas Stärkung und Trost im Standhalten entgegen; insofern sei Kunst „…ein Spiel tiefsten Ernstes“.

Mit der Kategorie des Spielerischen klingt in Danzers Buch eine Tendenz an, die dem Leser immer wieder begegnet. Auf die rhetorische Frage einer Kapitel-Überschrift Das Leben – ein Spiel? folgt die bejahende Antwort: Ein Spiel! Das Spielerische wird verstanden als Konkretion menschlicher Freiheit. Mit ironischer Kritik an Martin Heideggers Menschenbild in Sein und Zeit soll dessen heroisch-ernstes Menschenbild um ein wenig Leichtigkeit angereichert werden. Danzer propagiert, das Spielerische als fehlendes Anthropinon in den Katalog der Heideggerschen Existenziale einzufügen. Das Beleg-Material hierzu reicht von Kant über Schillers Ästhetische Erziehung und Nietzsche, Huizinga, Gadamer, Plessner bis zu Sartres Drama Das Spiel ist aus

Das vom Autor anvisierte Spiel zielt ab auf ein freieres Verhältnis zum Rollenmäßigen, das unser gesellschaftliches Leben fordert. Als Person kann der Mensch zu diesen angepassten Lebensformen ein reflektierendes Verhältnis einnehmen. Das verdeutlicht Danzer, indem er an späterer Stelle auf Helmuth Plessners Konzept der exzentrischen Positionalität als Wesensmerkmal von Personen verweist. Damit sieht sich der Mensch nicht als Mittelpunkt der Welt, sondern relativiert in seiner Stellung zu den anderen und zu sich selbst. 

Um das Leben zwischen Ich und Du, um die Modi des Interpersonalen und ihre Bedeutung hinsichtlich eines gelingenden Lebens geht es im dritten Abschnitt des Buches. Wenn es bei Danzer heißt: Du denkst an mich, also bin ich, thematisiert er den einen Pol, womit er die Formel variiert, mit der René Descartes sich der Realität seines Seins versichern wollte (ich denke, also bin ich). Nicht die Gewissheit meines Denkens und meines Zweifels sichert die Verankerung meines Seins, sondern der Mitmensch. Zu diesem Pol gesellt der Autor als komplementäres Gegenstück das Allein-sein-Können.

Als wesentliche Ausgestaltungen der Zwischenmenschlichkeit gelten Freundschaften und Liebesbeziehungen. Danzers Vorstellung der Seins-Modalität des Liebens scheint mir dabei in manchen Nuancen mit der eines "interesselosen Wohlgefallens" verwandt, wie Immanuel Kant es als die adäquate Haltung ästhetischen Gegenständen und der Kunst gegenüber charakterisierte. Ein Kunstwerk will nicht besessen werden, und es erschließt sich nur unserer eventuell vorbehaltlosen Bewunderung. Was für die Liebe zur Kunst gilt, ihre Nicht-Reziprozität, lässt sich m.E. jedoch nicht eins zu eins auf zwischenmenschliche Sympathie übertragen. Auf die Hingabe der Mona Lisa lohnt sich nicht zu hoffen. 

In den nächsten vier Kapiteln des Eudämonie-Buches werden weitere Stationen einer kleinen Weltgeschichte der Eroberung des Glücks präsentiert. Danzers Ideen zur geistig-kulturellen Entwicklung von Personen lehnen sich unter anderem an Nietzsches Überlegungen an, der davon sprach, dass ein erstes (langes!) Stadium des Lernens mit einem Kamel-Dasein verglichen werden könne, bei dem der Betreffende geduldig kulturelle Lasten auf sich nimmt. Irgendwann tritt er in das Löwe-Stadium ein, dessen Aufgabe darin besteht, das Tradierte falls nötig in Stücke zu reißen. Zu guter Letzt – so etwas Glück mit im Spiele war und ist – folgt die Phase des Kind-Seins, in der mit dem kritisch Assimilierten souverän gespielt wird. 

Wenn der alttestamentarische Gott der Genesis auf sein Tagwerk schaute, so lernten wir es im Religionsunterricht, gefiel ihm das gerade Erschaffene wohl. Ob dieser Gott auch glücklich war, wird uns nicht gesagt; vielleicht bedürfen selbst Götter zu ihrem Glück den Mitmenschen. Ob sich der Verfasser des Eudämonie-Buches über das Vollbrachte glücklich preist, ist ebenfalls nicht bekannt. Gelungene Werke bereiten ihren Schöpfern in der Regel aber zumindest große Freude, und eine solche erlebte auch der Rezensent bei der Lektüre dieses vorzüglichen Buches.