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Rezensionen
ITGG Berlin - Rezensionen
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Kunst & Literatur

Eines Kekses Reise in die Nacht

Autor*in:Berliner Schreibsalon
Verlag:VTA-Verlag, Berlin 2022, 63 Seiten
Rezensent*in:Gerhard Danzer
Datum:23.12.2022

Wie, so fragen sich wohl viele von uns, wie lässt sich unser Denken, Fühlen und Handeln, das sich seit Jahr und Tag auf eingefahrenen und meist bestens etablierten Geleisen bewegt, bisweilen mit einem Schuss Originalität und Überraschung versehen? Wie verzaubern wir unseren gewöhnlichen Alltag mit dem Glitzern des Außergewöhnlichen, und wie verhelfen wir angesichts von Fakten, Daten und widerständiger Wirklichkeit unserer Phantasie und dem Imaginären immer wieder zu ihrem Recht?

Seit fünf Jahren geben acht Damen und Herren in Berlin auf diese Fragen eigenwillige Antworten. Einmal monatlich treffen sie sich abends nicht nur, um miteinander zu tafeln und (offensichtlich ein besonderer Lustgewinn) selbstproduzierten Eierlikör zu genießen. Über diese oralen Befriedigungen hinaus stellen sie sich an diesen Abenden auch noch gegenseitig intellektuelle Aufgaben, die sie innerhalb einer Stunde schreibend bewältigen wollen und müssen. Die Texte, die dabei entstehen, werden reihum vorgelesen und danach mit Applaus, Kopfschütteln, Rührung oder einem Schulterzucken bedient.

So entstehen Monat für Monat kleine Kurzgeschichten, Gedichte, Aphorismen, Erörterungen, autobiographische Sentenzen, dramatische Dialoge, die heiter oder nachdenklich oder melancholisch stimmen, und die diese acht Personen inzwischen zu einer verschworenen Gruppe (dem Berliner Schreibsalon) werden ließen. Nach einem Jahrfünft kontinuierlichen Schreibens haben sie sich entschlossen, ihre besten Resultate in einem Reader zu publizieren, der pünktlich vor Weihnachten erschienen ist, so dass das kleine Werk auf möglichst vielen Gabentischen dieser Republik gefunden werden kann.

Georg Christoph Lichtenberg plädierte einst in seinen Sudelbüchern für mehr Binnenschifffahrt zwischen den einzelnen Abschnitten und Bereichen unseres Gehirns – damit würde bei uns ein Plus an originellen und produktiven Gedanken entstehen. In gewisser Weise halten sich die Acht des Berliner Schreibsalons an diese Empfehlung Lichtenbergs und sorgen mit ihren literarischen Exerzitien für eine heitere Auflockerung ihres Denkens. Und die Lektüre ihrer Texte animiert dazu, sich auch selber (mindestens einmal monatlich!) einem witzig-putzig-durchschüttelndem stream of consciousness hinzugeben und dessen Ergebnisse – ob mit oder ohne Eierlikör –  als Notate zu fixieren.