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Biographien

Lost in Translation – Ankommen in der Fremde

Autor*in:Eva Hoffman
Verlag:Neue Kritik, Frankfurt am Main 1993, 307 Seiten
Rezensent*in:Marlies Frommknecht
Datum:21.02.2023

Schon seit langem sind wir mit Flüchtlingen aus aller Herren Länder konfrontiert. Sie kommen aufgrund von Verfolgung, Krieg, Hunger, Klima- und anderen Katastrophen. Natürlich gab es zu allen Zeiten Flüchtende, aber von unserem 21. Jahrhundert wird gesagt, dass es das Jahrhundert der Flüchtlinge sein wird. Immer sind sie unendlich viel Neuem ausgesetzt, das sie vorfinden. Aber auch die Einheimischen sind gefordert, sie müssen verstehen, sich einfühlen können, was dem Neuling in ihrem Land widerfährt.

Das Buch der amerikanischen Schriftstellerin Eva Hoffman über ihre Emigration Lost in Translation scheint mir dies zu leisten. Es weckt Verständnis dafür, wie es den Emigranten in der neuen Umgebung ergeht. Eva Hoffman nimmt uns mit Herzblut mit auf ihre „Reise“, die in Krakau beginnt und für viele Jahre in Vancouver in Kanada endet. Ewa (wie ihr Name auf Polnisch lautet) wurde zwei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Bei der Ausreise war sie dreizehn Jahre alt. Mit viel „Immigrantenmut“ und Anstrengung, machte sie ihren Weg. Nach dem Besuch der Schule studierte sie Klavier und Literatur. Sie entschied sich schließlich für Literatur und promovierte 1975. 1979 wurde sie Redakteurin der New York Times; von 1987 bis 1996 war sie leitende Redakteurin der New York Times Book Review. Später nahm sie Lehraufträge für Literatur und Kreatives Schreiben an und wurde Schriftstellerin, die Romane, Novellen, Sachbücher verfasst.

Ihr autobiographisches Werk Lost in Translation – Ankommen in der Fremde gliedert sich in drei große Abschnitte: Paradies, Exil, Die neue Welt. Die jüdische Familie lebte in Krakau, Ewas „Paradies“. Die Eltern hatten den Holocaust überlebt. Zunächst versteckt in einem mit Zweigen getarnten Bunker im Wald; als dieser entdeckt wurde auf dem Dachboden eines Bauernhofs. Nach dem Krieg zogen sie von Lemberg nach Krakau um, weil das Land der Sowjetunion zugeschlagen wurde.

Hoffmann schildert mit viel Liebe das Leben der Familie in Polen. Die Familie lebte zu viert zusammen mit einem Hausmädchen in einer Zweizimmer-Wohnung. Der Vater, ein Draufgänger (ohne diese Haltung hätte er den Holocaust nicht überlebt), war Angestellter, um die Existenz zu sichern, fühlte sich aber eher als „freier Unternehmer“; er tätigte riskante und einträgliche Finanzgeschäfte und überlistete so das polnische System. Kaum einer konnte ohne solche Nebenbeschäftigungen durchkommen. Die Mutter war Hausfrau. Beide Eltern wollten, dass es die Kinder einmal besser haben. Sie schafften es durch die finanziellen Aktivitäten des Vater, sich den Mittelschichtstatus zu sichern, so z.B. Konzert-, Kino- und Theater- und Bibliotheks-Besuche. Auch dass Ewa Klavierspielen lernte, gehörte dazu. Bei ihr war es nicht nur ein Musizieren einer Tochter aus gutem Haus. Für sie wurde das Klavierspiel lange Zeit das Zentrum ihres Lebens. Sie wollte Konzertpianistin werden.

Polen war nach dem Krieg sozialistisch geworden. Aber die „Unglaubwürdigkeit aller offiziellen Verlautbarungen“ machte es nach Hoffman zum „Nationalsport“, „das System an der Nase herumzuführen“ (60f.). Hoffman bezeichnet Polen als ein „anarchisches Land“, und die Eltern, denen durch die Kriegserfahrungen viele tiefere Überzeugungen „weggeätzt“ worden waren, seien noch anarchischer gewesen. Der Vater glaubte nicht an Fünfjahrespläne und an den neuen Menschen. Beide Eltern fühlten sich nicht zugehörig, was nicht verwundert, erfuhren sie doch immer wieder antijüdische Reaktionen. Da der Antisemitismus sich intensivierte und ein Gesetz herauskam, das es Juden erlaubte auszuwandern, entschlossen sie sich dazu – wie viele andere jüdische Familien. Dass sie Kanada wählten und nicht Israel wie viele Freunde, lag vor allem an einem Buch über Kanada, das der Vater in der langen Zeit im engen Bunker bei sich hatte, und das von Weite und Freiheit kündete.

Im Frühjahr 1959 war es soweit. Als die Familie an der Reling des Schiffes steht, das sie in das neue Land bringen sollte, bricht für Ewa ihre Welt, die sie so geliebt hat, zusammen. Nach der langen Schiffsreise stand der Familie die lange Reise von Montreal nach Vancouver bevor. Dort wurden sie von einem polnisch-jüdischen Mann abgeholt, der schon unmittelbar nach dem Krieg ausgewandert war. Er war mit Immobilienhandel Millionär geworden. Ewas Familie konnte einige Tage in seinem Haus im Souterrain wohnen. Sie bekam abgelegte Kleidung geschenkt, aber die Eisenbahnfahrt, die er ausgelegt hatte, mussten sie selbst bezahlen – für Ewa ein Beweis seines Geizes und seines harten Herzens. Lange Zeit blieb ihre Familie von Spenden und Hilfsangeboten abhängig.

In der dritten Nacht im Haus ihres Helfers hatte Ewa einen Alptraum, in dem sie im Ozean ertrank, während Mutter und Vater immer weiter von ihr wegschwammen. „In diesem Traum begreife ich, was es heißt, ins Unermessliche hinauszutreiben. Ich begreife, was es heißt, den Halt zu verlieren“ (114). Sie erwachte schreiend. Die große Angst, die sie in sich spürte, verließ sie nie mehr ganz. Sie machte ihr deutlich, dass ihre Seele durch die Emigration „aus ihrer Verankerung“ gerissen worden war. Dazu trug nicht unerheblich bei, dass ihr Vorname und der ihrer Schwester dem Englischen angepasst wurden. „Die neuen Namen gehören nicht zu uns … Sie sind Ausweiskarten … die Objekte benennen, die zufällig meine Schwester und ich sind“ (115).

Hoffman berichtet nun eindringlich, wie es ist, in einem fremden Land leben zu lernen. Sie schildert, wie es ist, mit der fast überwältigenden Fremdheit zurechtkommen zu müssen. Nichts gemahnte an das bisherige Leben, nicht die Landschaft, die Häuser, das Verhalten und Aussehen der Menschen. Und auch nicht die Sprache. Dies scheint mir das Herzstück des Buches zu sein. Wie war es, als sie die neue Sprache lernen musste, um zu verstehen, was um sie herum vor sich geht, und sie konstatiert: „Die Wörter, die ich jetzt lerne, stehen nicht auf die gleiche unangefochtene Art für Dinge wie die Wörter meiner Muttersprache“ (116). Das Wort „river“ z.B. bezeichnete nicht den Fluss, den sie mit dem polnischen Wort vor sich hat. „… es ist ein Wort ohne Aura. Es besitzt für mich keine Assoziationen … es hat nicht den leuchtenden Schleier zusätzlicher Bedeutungen. Es beschwört nichts“ (116). Auch der folgende Satz macht dies deutlich: „Ich habe keine innere Sprache mehr, und ohne sie werden auch die inneren Bilder unscharf, jene Bilder, mit deren Hilfe wir die Außenwelt assimilieren, sie in uns aufnehmen, lieben, uns zu eigen machen“ (118). Die englischen Wörter waren für sie letztlich abstrakt.

Sie erlebte die Trennung zwischen „Wort und Ding“, und dies entzog ihrer Welt jegliche Färbung. „Es ist der Verlust eines Lebenszusammenhangs“ (117). Gleichzeitig merkte sie, dass ihr Polnisch verkümmert, weil es nicht mehr gebraucht wurde. Dies unterstrich ihr Verlustgefühl. Durch die sprachliche Umorientierung konnte sie Gesichter und Gesten nur noch verschleiert wahrnehmen. Wenn eine Freundin erzählte, wie es ihr geht, versuchte sie angestrengt, nicht aus dem Englischen ins Polnische zu übersetzen, sondern zum Gefühl zu kommen. Aber dadurch war eine spontane Reaktion nicht möglich. Sie konnte kleine Begebenheiten nicht ihrem Erfahrungsschatz hinzufügen; es war, wie wenn sie „durch ein schwarzes Loch“ fielen und mich mitrissen (119). „Ich bin nicht mehr von Sprache erfüllt, und ich habe nur noch die Erinnerung an eine Fülle“ (ebd.).

Ähnlich erging es ihr mit ihrem Körper, der den Gepflogenheiten der neuen Welt angepasst wurde, so, als ihr ungefragt die Achselhaare rasiert wurden von einer mütterlichen Freundin, oder ihre Augenbrauen gezupft, verschiedene Lippenstifte ausprobiert wurden. Sie ließ dies mit sich machen, jedoch verlor sie zunehmend ihr Selbstvertrauen. „Ich lasse die Schultern hängen, ich nicke zu heftig, um den anderen meine Zustimmung zu signalisieren … ich ziehe die Brust ein, um nicht zu viel Platz einzunehmen – Verhaltensweisen einer am Rande stehenden, ihrer Mitte beraubten Person“ (120).

Obwohl es Eva (ihr neuer Name) gelang, Freunde zu erobern und auch eine beste Freundin, fühlte sie sich lange nicht richtig dazugehörig, auch weil sie oft ihre Reden nicht verstand. Da ihre Familie arm war, beschloss Eva, ihre Wünsche abzustellen; „das ständige Begehren“ konnte sie sich einfach nicht leisten. Sie „immunisierte“ sich gegen Neid. Nur dadurch konnte sie unbelastet mit den viel reicheren Altersgenossen umgehen. Sie arbeitete von Anfang an sehr hart in dem Bewusstsein, dass sie erfolgreich sein musste, dass ihre Familie das braucht. Sie konnte weiterhin Klavierstunden nehmen und übte intensiv. Sie entwarf sich ein straffes Lernprogramm, das Klavierspiel, Lesen wichtiger Bücher, Sport und „Nachdenken über den Sinn des Lebens“ umfasste. Trotz ihrer Kontakte zu Gleichaltrigen litt sie an Einsamkeit und einem „Gefühl schwindelnder Leere“. „Die Intensität, mit der ich mich selbst unterdrücke, verwandelt sich zeitweise in eine unwirkliche Exaltiertheit. Mir dreht sich der Kopf, und manchmal wird mir schwach vor lauter Bemühen, über mich selbst hinauszuwachsen“ (151).

Auf der Highschool in Vancouver machte sie nebenher Fernkurse, um ihrer Altersklasse zu entsprechen. Sie war eine exzellente Schülerin, die am Ende der Schulzeit die Abschlussrede hielt. Sie erhielt mehrere Stipendien, die es ihr ermöglichten, in Houston in Texas zu studieren. Die Rice Universität stand in dem Ruf, sehr hohe Maßstäbe zu haben.

In Houston war sie wieder in einer ganz anderen Welt. Sie war nun in Amerika und begriff erst allmählich, dass dies nur ein spezieller Teil Amerikas war. Und allmählich bekam sie mit, dass viele der freundlichen und offenen Mitstudenten aus verschiedenen Teilen Amerikas und der Welt kamen. Auch hier spürt sie wieder, wie sehr sie sprachlich eingeschränkt und beim Denken vieler Worte beraubt war. Aber diese Behinderung führte dazu, dass sie „zu einem geschickten Instrument der Abstraktion geworden“ war. Dies entsprach der „formalistischen“ Ausbildung an der Universität.

Die Literaturinterpretation z.B. ging von der Form aus: „Form ist Inhalt“, wurde gelehrt. Es ging nicht darum, wie sich etwas entwikkelt hat; es ging nicht um den Hintergrund des Schriftstellers, der Zeit, der Geschichte. Vielmehr war die Aufgabe bei der Lektüre eines Romans oder eines Gedichts, „Symbole herauszufinden, die sie sich wiederholen, Wortmuster, wiederkehrende Motive und Motive, die gegenläufig sind“ (199). Bei dieser Aufgabenstellung erlebte sie sich kompetent, weil die Kriterien „egalitär“ waren. So erfuhr sie „die demokratisierende Macht der Literatur“, die bewirkte, „dass ich mich in Amerika zu Hause zu fühlen beginne“ (200). Zugleich erfuhr sie aber auch „Entfremdung“, denn wenn sie las, legte sie andere, persönliche Kriterien an und entdeckte in der Literatur Dinge, die für ihre Kommilitonen unsichtbar blieben.

Erst viele Jahre später, als sie selbst Literatur an der Universität lehrte, erlebte sie, dass sie „die Barriere“, die sie gefühlt hat, aber nicht durchbrechen konnte, hinter sich ließ. Bei Gedichten von Yeats oder T.S. Eliot hörte sie plötzlich „ihre Melodie und ihre stillen … jetzt bin ich … auf ihren inneren Sinn eingestimmt; ich höre die leise Melancholie jenes Refrains, die zivilisierte Beschränkung der Rhythmen … die nachdenkliche, schwermütige Resignation der Melodie … Ich bin heimgekehrt zur Musik der Sprache“ (203).

Ihre drei Studienjahre an der Rice University sind von vielen Veränderungen geprägt: John F. Kennedy wurde ermordet. Die Rolling Stones und die Beatles und andere Rockgruppen eroberten die Welt und auch ihre Universität. Verschiedene Drogen wie Meskalin, Marihuana wurden ausprobiert. Die Studenten rebellierten, hatten ihre Happenings. Hoffman war dabei und auch nicht. Während sie sich um die Sprache bemühte, fingen ihre Kommilitonen an, eine „gewollte Sprachlosigkeit“ zu pflegen. Sie „möchte innerhalb der Sprache leben und innerhalb eines kulturellen Rahmens festgehalten werden, die anderen möchten die Fesseln der Sprache und der Kultur sprengen“ (212).

Zehn Jahre nach ihrer Einwanderung, also 1969, begann Hoffman an der Harvard Universität Literatur zu studieren. Ihre Kommilitonen sagten, dass sie nun erst im richtigen Amerika sei. Bis dahin hatte sie parallel zur Literatur auch Musik studiert. Sowohl in Vancouver als auch an der Rice Universität trat sie als Pianistin auf. Sie studierte ein Jahr an der Yale Music School, um zu einer Entscheidung zwischen Musik und Literatur zu kommen und entschied sich für Letztere. In ihrem ersten Jahr in Harvard fühlte sie sich orientierungslos und fremd und hatte den Wunsch, dieses Fremdsein zu beenden und in die „normale Realität“ einzutreten.

Je näher sie in dieser Zeit ihren Freunden kam, desto eher geriet sie in heftige Wortwechsel, auch über sehr banale Dinge: Über den Wert des Sports, der gesunden Ernährung, über die Frage, ob Familie repressiv sei usw. Sie spürte in den Gesprächen Klischees auf, vermutete Repression von seiten derer, die Repression am meisten hassten, sah Normen bei denen, die sie ablehnten. Sie hatte Angst, unter die „Vorherrschaft der hier Geborenen zu geraten“ (223), „kolonisiert“ zu werden, Angst, dass ihre Eigenart unter die Räder geriet. „Trotzdem muss ich mich damit irgendwie arrangieren. Ich bin keine Besu-cherin mehr und kann darum nicht länger die realen Bedingungen, die hier vorherrschen, ignorieren oder am Rande sitzen und die seltsamen Sitten der alteingesessenen Amerikaner beobachten. Ich muss lernen … eine gemeinsame Basis zu finden. Es ist die Angst, zuviel von meiner Substanz abgeben zu müssen, die mich mit dieser leidenschaftlichen Wut erfüllt“ (224). Die Konflikte sind schärfer geworden, seit sie näher an die Menschen herangekommen ist. Aber sie spürte dennoch, dass ihre Freunde sie in ihr Herz aufgenommen haben.

In dieser Zeit beschreibt Hoffman auch, wie sie Worte einsammelte, in der Hoffnung, dass sie sich die Sprache einverleiben und sie zu einem Teil ihrer Psyche und ihres Körpers machen kann. Sie entdeckte, dass sie der Sprache, die sie „von oben her gelernt“ hatte, „eine Basis“ hinzufügen musste (237). Nur allmählich verankerten sich die „Modulationen, Intonationen, Rhythmen“ in ihr. Als sie sich verliebte und schließlich heiratete, war es ein Mann, der sehr souverän mit der Sprache umgehen konnte. Sie liebte es, ihm zuzuhören und seine Wortspiele aufzunehmen und zu versuchen, sie zu begreifen. Aber sie spürte auch, dass sie seine „Sprache des Gefühls“ noch nicht verstand, und dass dies immer wieder zu schmerzhafter Distanz führte.

1977, also 18 Jahre nach der Emigration, fuhr Hoffman nach Polen, eine Reise, die sie als ihre recherche du temps perdue bezeichnete. Sie sah ihr geliebtes Krakau wieder, traf viele ihrer Freunde wieder. Aber es war in Polen eine schwierige, politisch unruhige Zeit, und die Polen insgesamt waren darin involviert. Als sie wieder in New York zurück war, wo sie nun lebte, träumte sie auf Englisch, ein sehr wichtiges Ereignis für sie. „Vielleicht habe ich genügend Wörter gelesen, geschrieben, gegessen, so dass jetzt Englisch durch meine Adern fließt“ (266). Sie schien wieder zu sich selbst und zu ihrer Welt gefunden zu haben. Sie spürte eine „Courage … die realer ist als mein kompensierender, Ängste überspielender Immigrantenmut“ (ebd.). Hatte sie ihren ersten Mann aufgrund seiner Sprache gewählt, so entdeckte sie jetzt, dass sie fähig ist, ihrem Geliebten ganz ungezwungen zu sagen, dass sie ihn liebt. Bisher war ihr das zärtliche Sprechen in Englisch nicht möglich gewesen. „Jetzt jedoch ist die Sprache in meinen Körper eingedrungen“ (268).

Hoffman nahm den amerikanischen way of life wahr und beschritt ihn selbst. Sie spürte, dass sie immer am Rennen ist, dass sie Herausforderungen sucht, vielleicht nur – da es nicht mehr um Erfolg geht (sie ist erfolgreich) –, um die Grenzen zu verschieben. Aber manchmal träumte sie von Ruhe und einem Sein „wie die Lilien auf dem Felde“, suchte „Rezeptivität“, suchte Zeit, in der Leid und Hilflosigkeit nicht einfach abgelehnt, sondern ertragen werden. Sie begann eine Psychoanalyse, durchaus skeptisch, wenn sie sich fragte, was das „unheimliche Ritual der vollen Beichte“, das Wühlen in Erinnerungen an die frühe Kindheit bringen soll. Aber allmählich verstand sie, dass es eine „Übersetzungstherapie (ist), die Heilung durch Sprechen, Heilung durch eine zweite Sprache“ (297). Sie begriff die Notwendigkeit, bis zum Anfang zurückzugehen und von dort aus zu beginnen, ihre Geschichte auf Englisch zu erzählen. Jetzt konnte sie diese Sprache benutzen „als Schacht, um zurückzugehen und in die Tiefe zu gelangen, den ganzen Weg hinunter, bis in die Kindheit“ (299). In der Therapie lernte sie, „zu jenem Verlust (zurückzugehen), der für mich das Modell allen Verlustes ist“ (300). Sie entdeckte ihre „alte polnische Melancholie“, die um Vergänglichkeit und Verstreichen der Zeit weiß, um die Verschiedenartigkeit der Welt, um die „Relativität kultureller Werte“, und war für immer verloren dafür, „ein System von Werten als endgültig anzusehen“ (301).

Hoffman konstatierte, dass Englisch die Sprache ist, in der sie erwachsen geworden ist, und dass sie ihre Selbstgespräche nun auf Englisch führte. Aber manchmal stiegen unwillkürlich polnische Wörter und Sätze auf. Dies zeigte ihr, dass ihre Ursprungssprache noch da ist. Sie wusste nun, das es keine Rückkehr gibt, wo diese Sprache etwas Selbstverständliches, „Ungeteiltes“ ist. „Wenn ich jetzt polnisch spreche, ist es infiltriert, durchdrungen und verändert vom Englischen in meinem Kopf. Jede Sprache modifiziert die andere, kreuzt sich mit ihr, befruchtet sie. Jede Sprache relativiert die andere. Wie jeder Mensch bin ich die Summe meiner Sprachen – der Sprache meiner Familie und meiner Kindheit, meiner Erziehung und Freundschaften und Lieben und der weiten, sich verändernden Welt“ (299).

Hoffmans Geschichte ihrer Emigration und ihrer Integration in die neue Welt von Kanada und Amerika ist sehr beeindruckend. Sie schildert hervorragend, welch große Rolle die Sprache spielt, wie lange es dauert, bis ein Gefühl für die neue Sprache entsteht, bis das Englisch in ihren Adern floss, so Hoffman. Man könnte sagen, das ist nicht verwunderlich bei einem so sprachsensiblen Menschen. Aber mir scheint, dass sie in ihrer Beschreibung die Aufgabe und Hürden einer jeden EmigrantIn darstellt – auch wenn er/sie dies nicht sprachlich ausdrücken kann. Es ist auch ein Buch, das uns Einheimischen zeigt, vor welchen Herausforderungen jeder steht, der in ein fremdes Land mit einer fremden Sprache gerät und dort „ankommen“ will.